Nur wenige Meter entfernt vom Nordhafen der Insel Utsira führt mich ein kleiner Wanderpfad auf einen etwas höher gelegenen Felsen. Von ihm aus kann ich die moorige Insellandschaft ein bisschen überblicken. Mehrere kleine Seen liegen zu meinen Füßen, hinter den Seen liegt an der Küste ein Badesteg, neben dem ich eine kleine, bunte Hütte erkennen kann – mein erstes Ziel auf der Insel.
Aber was ist das? In einem der Seen, direkt vor mir, liegt etwas. Es sieht aus wie ein Körper. Eine Wasserleiche? Als nähere mich ein bisschen und erkenne dann schnell: Nein, es ist eine Skulptur aus Plastikflaschen, die auf der Wasseroberfläche treibt.
Merkwürdig, denke ich, und spaziere weiter. Eine Kuhherde stellt sich mir in den Weg und während ich sie umrunde, muss ich vorsichtig um mehrere Kuhfladen herum navigieren.
Da bin ich auch schon an der Hütte am Badesteg. Vielleicht zwei mal zwei Meter groß ist sie, besteht aus Holz und Kunststoffplatten – offensichlich Strandgut. Blaue, runde Chips über der Eingangstür bilden das Wort “Håpet”, Hoffnung. Darüber thront die Figur eine Eule.
In der Hütte steht ein kleiner Tisch und ein alter Stuhl. In einem, ebenfalls aus Strandgut zusammen gehämmerten Bücherregal, stehen Bücher. Einige norwegische Groschenromane, ein paar Bücher eines offensicht lokalen Schriftstellers. Aber auch “Die Kunst des Glücklichseins” vom Dalai Lama.
Durch drei kleine Holzfenster schaut man auf den Hafen von Utsira und auf den Badesteg. Auf der Fensterbank: Ein Teekessel aus Metall, eine Box mit Glasscherben, ein Schuh.
Kurz laufe ich noch zum Badesteg, dann geht es zurück zu meinem Auto am Hafen.
Ein Tagesausflug zur Insel Utsira
Ein guter Einstieg in meinen Tagesausflug von Haugesund auf die Insel Utsira, deren 206 Einwohner dafür bekannt sind, ein etwas schräges und eigenwilliges, aber auch sehr liebenswürdiges und vor allem kreatives Völkchen zu sein. Utsira ist eine eigene Gemeinde – die Kleinste Norwegens.
Dass ich das Auto mit hierher gebracht habe, werde ich übrigens schnell bereuen: Die 200 Kronen, die die Fährüberfahrt von Haugesund aus mit dem Auto zusätzlich gekostet haben, hätte ich besser in ein Mietfahrrad investiert. Die gibt es an mehreren Stellen auf der Insel zu mieten (zum Beispiel direkt am Kai bei den Bølgen-Ferienwohnungen, vorher anfragen!).
Und das Fahrrad ist das deutlich bessere Verkehrsmittel auf der kleinen Insel: Insgesamt verfügt sie über weniger als 10 Straßenkilometer (genau sind es laut der Inselwebsite 9914 Meter). Mit dem Auto komme ich mir in der Inselidylle ein wenig fehl am Platze vor, es gibt kaum andere motorisierte Fahrzeuge hier.
Also rolle ich in Schritttempo über die schmalen Dorfstraßen. Ich reihe mich dabei hinter anderen Tagesausflüglern ein, die Utsira entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad erkunden. Alle paar hundert Meter halte ich an.
Da ist dieser Vorgarten gegenüber der Dorfkirche. Ein Rasenmäherroboter zieht dort seine Runden und hält die Grashalme penibel auf einer genau festgelegten Länge. Auf der Hauswand: Ein Graffiti, das man eher in einem etwas herunter gekommenen Hinterhof in Bergen erwarten würde.
Vor dem Rathaus, mitten auf der Insel, steht die Büste einer Frau: Aasa Helgesen wurde hier auf Utsira 1926 zur ersten weiblichen Bürgermeisterin Norwegens gewählt und bewacht heute die Inselhauptstraße und das Rathaus mit einem Blick, bei dem ich mir nicht ganz sicher bin: Ist er jetzt streng oder liebevoll?
Internationale Streetart in der kleinsten Gemeinde Norwegens
Mitten in einer Wiese, die übersät ist mit gelb leuchtenden Butterblumen und weißen Wollschafen, steht ein etwas größeres Gebäude. Von seiner Fassade schaut mich ein grimmiger Mann mit Hut an und streckt mir eine Babyleiche entgegen. “A Nightmare to remove” – der Titel der Open-Air-Ausstellung des britischen Streetart-Künstlers JPS.
Seine Werke sind überall auf der Insel verstreut zu finden, auch einige weitere auch international bekannte Künstler haben sich auf der Insel verewigt. Ich mache mir ein kleines Spiel daraus und versuche, während meines Ausflugs so viele wie möglich zu entdecken.
An den unwahrscheinlichsten Stellen finde ich auf Hauswänden und auf Ruinen wütende Mädchen auf Schaukeln, Füchse, Vögel und Katzen. Beim Leuchtturm der Insel, der auf einer Anhöhe in der westlichen Inselhälfte steht und zu dem man nur zu Fuß kommt, schaut ein Fischerjunge mit Südwester nachdenklich auf das Meer hinaus.
So dauert mein eigentlich kurzer Weg einmal über die gesamte Insel ganz schön lang – ich verliere mich ein bisschen auf der Suche nach Streetart-Schätzen. Irgendwann komme ich trotzdem an am Südhafen der Insel. Vor der Joker-Filiale, die die Insel versorgt, stehen Holzbänke und -tische, Touristen und Einheimische trinken hier Kaffee und essen Hot-Dogs.
Von dort aus sehen sie auf einen kleinen, weißen Sandstrand, an dem Kinder spielen. Dahinter Fischerboote, Segelyachten und das Hostel Sildaloftet Overnatting, natürlich mit weiteren Graffitis auf der Außenmauer, die direkt an den Kai grenzt.
Ich kaufe mir jetzt auch einen Kaffee und setze mich kurz. Schon bald wird aber wieder der Entdecker in mir wach und ich spaziere wieder weiter. Die nächste, große Entdeckung: Die Getreidesilos des Bauernhofs hinter der dem Joker-Supermarkt sind so angestrichen, dass sie aussehen wie zwei Konservendosen. Offensichtlich ist dies der Utsira-Humor: Während man in Oslo Eintopf ist, gibts auf Utsira Hummersuppe.
Fast vergesse ich die Zeit, während ich so weiter umherstreife zwischen Streetart und Inselidylle. Und so kommt es, dass ich es plötzlich eilig habe: Bis die letzte Fähre zurück nach Haugesund ablegt, sind es nur noch wenige Minuten. Zum Glück ist Utsira nicht so groß.
Reiseinfos für deinen Ausflug zur Insel Utsira
Anreise
Das “Rutebåten Utsira A/S” fährt drei bis viermal täglich zwischen Haugesund und Utsira hin und zurück. Eine einfache Überfahrt kostet für einen Erwachsenen 70 Kronen (~8 Euro) und dauert etwa 70 Minuten. Infos und Tickets gibt es hier: Rutebåten Utsira.
Streetart
Im Nachhinein habe ich herausgefunden, dass man die Kunstwerke nicht unbedingt “auf gut Glück” suchen muss, wie ich es getan habe. Hier findet ihr eine Karte, auf der alle Spots eingezeichnet sind.
Mehr Infos zu den einzelnen Künstlern erhaltet ihr auf deren Webseiten:
Stik, JPS, 3F und ATM (alle aus Großbritannien)
Pichi & Avo (Spanien)
Ella & Pitr (Frankreich)
Icy & Sot (Iran)
Touristeninformation
Die Website von Utsira hält weitere Infos bereit, ist allerdings auf norwegisch.
Ein paar Informationen gibt es auch bei Visit Haugesund und bei Visit Fjordnorway.
Unterkünfte
Mir hat ein Tagesausflug von Haugesund nach Utsira ausgereicht, wer seine Seele mal richtig baumeln lassen will, kann aber auch länger bleiben.
Weitere Unterkünfte auf Utsira
Weitere Tipps
Auf Utsira gibt es keinen Geldautomat. Auf der Fähre kann es zu Problemen bei der Zahlung per EC-Karte kommen, per Kreditkarte klappt aber sowohl auf der Insel als auch auf der Fähre alles. Hier findest du meine Kreditkarten-Empfehlungen für Norwegen.
Hier findest du meine Reiseberichte und Tipps zu Haugesund.
Ich finde, die unzähligen Inseln vor der Küste Norwegens gehören zu vergessenen Highlights des Landes. Kennst du norwegische Inseln und kannst sie uns empfehlen? Wir freuen uns über deinen Kommentar!