Ich habe ausgeschlafen, die Sonne scheint und trinke meinen Kaffee draußen: Es ist ein traumhafter Samstagmorgen hier am Fjord. Es ist Ende April und einer der ersten richtigen Frühlingstage, der Winter war ungewöhnlich hartnäckig in Fjordnorwegen.
Deswegen wundert mich, was die Stimme im Radio sagt: “Die Passstraße Gaularfjellet wurde die Woche über geräumt und ist ab heute wieder geöffnet!”. Die Straße ist jeden Winter wegen viel zu viel Schnee gesperrt – und in diesem Jahr hatten wir in Norwegen besonders viel Schnee.
Ich bin diese Straße schon einmal gefahren und fand die Fahrt damals schon sensationell – obwohl mein erstes Erlebnis im Gaularfjell von tief hängenden Wolken und Regen getrübt wurde. Also beschloss ich schon damals, diese Straße noch einmal zu fahren.
Die Landschaftsroute Gaularfjellet im Frühling
In unzähligen Haarnadelkurven schraubt sie sich vom Sognefjord hinauf in das Gebirge, um anschließend entlang des Flusses Gaula wieder nach unten ins Gebiet zwischen Dalsfjord und Førdefjord abzusteigen.
Wie die Autos auf dem Weg nach unten muss auch die Gaula die ganze Zeit ein starkes Gefälle überwinden und tut dies, wie Flüsse das eben so tun: Über einen spektakulären Wasserfall nach dem anderen. Die Passstraße über das Gaularfjell ist nicht umsonst eine der 18 Nationalen Landschaftsrouten Norwegens.
Also werfe ich meine anderen Ideen für heute, eine Wanderung oder ein erster Fjordausflug mit meinem Angelboot, über Bord – ab ins Auto! Ich nähere mich der Landschaftsroute von Westen, weil ich von der Küste komme.
Zunächst geht es entlang des Dalsfjords (für mich einer der schönsten Fjorde Norwegens), wo wie bei mir zuhause noch schönster Frühling herrscht. Ich erhasche einen Blick durch die Windschutzscheibe auf die ersten beiden von vielen Wasserfällen heute: Der Laukelandsvossen auf der Höhe der Ortschaft Dale und später, an der Spitze des Fjords, die Mündung der Gaula, der Osfossen.
Hier befindet sich die älteste Lachstreppe Norwegens und im Sommer wird hier jede Menge Lachs gefangen, viele Angler fahren vom Fjorddörfchen Bygstad hier um die Ecke mit ihren Angelbooten auf den Fjord hinaus zum Wasserfall.
Ab jetzt bin ich auf dem Fylkesveg 610 (Fv 610), der ab hier auch “Fossvegen” genannt wird – die “Wasserfallstraße”.
Noch ist aber keine Spur von den Schneemassen, die ich weiter oben erwarte. Die Straße schlängelt sich parallel zum Fluss durch eine Frühlingslandschaft gemächlich nach oben.
Von einer Sekunde auf die andere sehe ich plötzlich, dass der Fluss Fahrt aufnimmt und kurz darauf dann den Eikjelandsfossen-Wasserfall. Er macht von der Straße aus einen mächtigen Einduck und es gibt einen kleinen Parkplatz. Ich halte kurz und gehe einen kurzen Pfad entlang bis zum Fuß des Wasserfalls und mache ein paar Bilder.
Traumstraße von Wasserfall zu Wasserfall
Wieder im Auto passiere ich die Hestadkapelle, eine kleine Holzkapelle, die auf einer Landzunge an der hier sehr breiten Gaula steht. Große Steigungen hat mein kleiner Toyota hier noch immer nicht zu bewältigen, aber das Panorama wird langsam schroffer. Ich nähere mich den Bergen um den Gaularfjellet, die ich gleich überwinden möchte.
Ich biege jetzt in den Fylkesveg 13 (Fv 13) – dem Herzen der Norwegischen Landschaftsroute “Gaularfjellet”. Die Gaula wird jetzt reißender und bald werde ich dann auch vom nächsten Wasserfall an meiner Stecke begrüßt.
Der Likholefossen ist eine der Attraktionen an dieser Route, deshalb halte ich wieder und steige aus. Eine etwas gruselige Geschichte verbirgt sich übrigens hinter dem Namen des Wasserfalls: “Likholefossen” heisst auf deutsch “Leichen-Loch-Wasserfall”!
Starb früher einer der Bewohner der einsamen Bauernhöfe hier in den Bergen, schafften es die Angehörigen oft nicht, den toten Körper an einem Tag in die nächste Kirche in Vik zu bringen. So legten sie die Leiche über Nacht zur Kühlung in ein Loch am Wasserfall…
Heutzutage geht es am Likholefossen aber deutlich heiterer zu: Eine spektakuläre Fussgängerbrücke führt über den Wasserfall. Auf ihr fühle ich mich, als würde ich mitten in den Wassermassen stehen!
Die Brücke ist ein Teil des “Fossestien”, zu deutsch “Wasserfallpfad”. Der 24 Kilometer lange Wanderweg verbindet insgesamt 14 verschiedene Wasserfälle entlang der Gaula – diese Wanderung kommt auf meine Bucketliste! Heute wandere ich ein nur ein Stück zum Test herunter, bevor ich mich wieder ins Auto setze.
Landschaftsroute Gaularfjellet: Fahrspaß dank Schneefräse
Denn jetzt folgt der wirklich spektakuläre Teil der Gaularfjellet-Straße! Ab jetzt geht es weiter durch eine immer einsamere und kargere Landschaft. Statt dem Mischwald, der bislang die Straße säumte, türmen sich jetzt wahre Schneemassen an beiden Seiten der schmalen Fahrbahn.
Innerhalb weniger Minuten werde ich vom Frühling am Fjord in den tiefsten Winter zurückgeworfen. Ich fahre durch eine schmale Schneise mit drei, vier Meter hohen, weißen Schneewänden.
Die Schneise sieht aus wie in den Schnee gefräst – und das wurde sie auch: In der vergangenen Woche waren die Arbeiter von Statens Vegvesen, der norwegischen Verkehrsbehörde hier mit schwerem Gerät unterwegs und machte das Gaularfjellet erst wieder passierbar.
Einige Bagger und und Planierraupen stehen hier oben noch am Straßenrand. Ich kann mir vorstellen, dass sie noch gebraucht werden, wenn der Schnee in den nächsten Wochen weiter schmilzt und die Schneewände auf die Fahrbahn stürzen.
Denn ich erinnere mich: Bei meiner ersten Fahrt über die Gaularfjellet Route lag hier weit und breit kein Schnee und der Weg führt durch eine leuchtend grüne Landschaft. Gerade ist das kaum vorstellbar, denn im Moment sind die Verkehrsschilder, die gerade eben oben aus dem Schnee hervorlugen, die einzigen Farbkleckse in einer weißen Winterlandschaft.
In Haarnadelkurven hinab zum Fjord
Ich komme jetzt an die Aussichtsplattform “Utsikten”, von der ich sehe, was mir jetzt bevorsteht: Die berühmten Haarnadelkurven, auf denen ich mich jetzt hinunter ins Tal in Richtung Vetlefjord, einem Seitenarm des Sognefjords, schrauben werde.
Eine 360-Grad-Kurve nach der anderen führt durch das Bergpanorama nach unten – das sieht nach einer Menge Fahrspaß aus! Ich freue mich, dass ich so früh in der Saison hier unterwegs bin, denn im Sommer bei schönem Wetter soll es hier auch Tage geben, an denen recht viel los ist.
Jetzt ist allerdings die Aussichtsplattform noch nicht einmal ganz vom Schnee befreit und ich bin weit und breit der einzige hier. Also schnalle ich mich an und lege einen niedrigen Gang ein: Ohne Motorbremse würden bei dem Gefälle meine Bremsen heiß laufen.
So laufe nur ich heiß: Ich kurble am Lenkrad wie ein Weltmeister! Es geht immer nur für wenige hundert Meter geradeaus, bevor ich wieder kräftig am Lenkrad drehen muss. Die Kurven sind so scharf, dass man sie eigentlich nur im Schritttempo bewältigen kann.
Trotzdem geht die Abfahrt in wenigen Minuten vorüber. Fast ein bisschen außer Atem komme ich an den Vetlefjord, wo statt Schneewänden wieder Osterglocken die Straße säumen.
Gemütlich fahre ich am Fjord entlang bis zum Ferienort Balestrand, wo ich bei einem Kaffee meinen Adrenalinspiegel wieder ein bisschen normalisiere. Aber nicht zu lang: Die Serpentinen des Gaularfjellets bin ich heute nicht zum letzten Mal befahren!
Weiterführende Links:
- Die Nationalen Landschaftsrouten Norwegens werden auf dieser Website vorgestellt. Dort erfährst du auch, ob die Strecken im Moment geöffnet sind und wie lange die Wintersperrung dauert.
- Bei Facebook gibt es Fotos von den Räumarbeiten in der letzten Woche – beeindruckend!
- Du planst einen Roadtrip? Finde hier Routen-Vorschläge in Fjordnorwegen und hier alle meine Berichte über Roadtrips an den Fjorden.
- Hier findest du meine Packliste für deinen Norwegen-Urlaub.
- Gerade bei einem Roadtrip in Norwegen brauchst du eine Kreditkarte – schau dir meine Empfehlungen an.
Warst du schonmal mit dem Auto in Norwegen unterwegs? Oder planst du einen Trip? Wir freuen uns über deine Erfahrungen, Tipps und Fragen – unten in den Kommentaren!
8 Kommentare
Ich liebe Norge- zu Fuß, auf Skiern oder mit dem Auto…
360°- Serpentinen sind mir aber noch nicht untergekommen, meistens so um die 180° …
Du hast natürlich vollkommen Recht, eine 360-Grad-Kurve habe ich auch noch nicht gesehen. Wobei ich mich jetzt auch nicht sehr darüber wundern würde 😉 Ich habe den Fehler korrigiert-Danke für den Hinweis!
Am Hardanger, Eidfjord-seitig, gibt es (zumindest gemäss Navi, man verliert leicht ein wenig die Orientierung) die ein- oder andere 360°-Kurve, im Tunnel verlaufend 🙂
Wir möchten die Gaularfjellet im Sommer fahren!
Nun habe ich folgende Frage:
Wir starten in Balestrand bis Eldalen und sind uns nicht sicher, ob wir dann Richtung Moskog oder nach Sande fahren…
Welche der beiden Strecken ist denn deiner Meinung nach schöner?
Hallo Ines, schwierige Frage, beide Streckenalternativen ähneln sich ein bisschen: auf beiden Routen geht es entlang von Seen und Flüssen. Auf der Strecke, die ich oben beschreibe, also der Zweig nach Sande überquert man einen dieser Seen. Man fährt über eine Landzunge und eine Brücke über den Hestadfjorden – und an der Spitze der Landzunge steht dann auch noch die kleine Holzkapelle Hestad Kapell. Für mich ist dieser Part immer ein erstes, kleines Highlight, weswegen ich dir im Zweifel diese Route empfehle. Wenn du dich aber für die Alternative entscheidest, wirst du das auch kaum bereuen 😉
Hallo Timo,
nächstes Jahr möchte ich mit meinem Bruder per Fahrrad durch norwegen fahren. Ein Teil der Strecke würde dann von Balestrand Richtung Förde gehen. Das bedeutet für uns wir müssten die Serpetinen der Fv13 hoch fahren. Leider finde ich nirgendwo eine Angabe über den Steigungsgrad der Straße. Ist die Straße mit dem Fahrrad, bergauf, überhaupt fahrbar? Hast du eine alternative Idee für die Strecke?
Hei Robert, den maximalen Steigungsgrad finde ich auch gerade nicht. Es ist aber möglich, die Strecke zu befahren, wenn auch ziemlich sportlich und auf jeden Fall eine Herausforderung – gerade, wenn ihr dann Gepäck dabei habt. Schau dir mal das Video auf dieser Seite an: https://www.landevei.no/nyheter/tv/haarnaalssykling-over-gaularfjellet-til-foerde Es ist zwar auf norwegisch, aber es geht um genau die Strecke mit dem Fahrrad und die Bilder helfen dir bestimmt, das einzuschätzen. Ausweichstrecken sind wie fast immer in Norwegen rar und deutlich länger. Du könntest am Sognefjord entlang bis zur E39 fahren – allerdings ist die recht stark befahren und kommt natürlich auch nicht ganz ohne Steigung aus.
Hi Timo, vielen Dank für deine Antwort. Die Landschaft um die Fv13 ist ja sehr schön. Alleine dafür lohnt es sich sportlichen zu sein. Hast du auch Erfahrungen mit der Euro velo 1? Die wollen wir dann an der Küste, von Förde aus, weiter fahren. Lohnt es sich schon dort auf die velo 1 zu fahren oder macht es Sinn erst nördlich von Trontheim auf die Küstenstrecke zu fahren? Es heißt die Strecke würde erst im Norden wirglich interessant.